„Wir müssen immer schneller und besser funktionieren. Da passt das Bild der Demenz so gar nicht rein.“

Johanna Constantini im Gespräch mit der Volkshilfe

Volkshilfe: Vor über zwei Jahren wurde bei deinem Vater, dem Ex-Teamchef der Österreichischen Fußballnationalmannschaft Didi Constantini, Alzheimer diagnostiziert. Wie hast du davon erfahren?

Johanna Constantini: Der Prozess hat sich über Jahre gezogen. Es gab den Verdacht auf Alzheimer bereits zuvor. Dass es schlussendlich zu dieser Diagnose gekommen ist, hat damit zu tun, dass mein Papa leider einen Autounfall verursacht hat und auf der Autobahn zum Wenden gekommen ist. Dieser Unfall hat Untersuchungen nach sich gezogen und dann wurde eben die finale Alzheimerdiagnose gestellt.

Das Thema Demenz ist in unserer Gesellschaft nach wie vor sehr tabuisiert. Warum ist das so?

Über Demenz schwebt ein großes Damoklesschwert, weil man furchtbare Vorstellungen von dieser Krankheit hat. Ich bin schon sehr früh gefragt worden, ob mich der Papa noch erkennt. Alles ist immer mit diesem Schreckensbild der vollkommenen Isolation und des nicht mehr Erkennens verbunden. Es ist eine prozesshafte und natürlich fortschreitende, nicht reversible Erkrankung, aber sie bietet ganz viele Facetten. Bei uns in der Familie sind nicht alle Tage schwarz. Natürlich gibt es Verzweiflung und es gibt Traurigkeit, aber es gibt genauso schöne Momente. Ich denke, die Gesellschaft tabuisiert diese Krankheit auch, weil sie viel mit dem „nicht mehr funktionieren“ zu tun hat. Wir müssen immer schneller, immer besser und effizienter funktionieren. Da passt das Bild der Demenz so gar nicht rein.

Im Falle von Demenzerkrankungen ist es wichtig, so früh wie möglich eine Diagnose zu bekommen. In deinem Buch „Abseits: aus der Sicht einer Tochter“ (Seifert Verlag) schilderst du, dass es bei deinem Vater schwierig war, die ersten Krankheitsanzeichen richtig zu deuten. Warum war das so?

Mein Papa war Zeit seines Lebens jemand, der immer unterwegs war, für den aber auch immer sehr viel erledigt wurde. Als Fußballtrainer hat man viele AssistentInnen an der Seite. Um Vieles musste er sich nicht kümmern. Deswegen waren manche Einschränkungen erst später für uns sichtbar. Gewisse Dinge, die er in der Pension anfangen wollte, musste er davor nie tun. Somit war nicht klar, ob er Dinge nicht tat, weil er sie ohnehin nie machen musste oder weil er es einfach nicht mehr konnte. Außerdem hatte er sich nach dem Karriereaus mehr und mehr zurückgezogen. Es war daher schwer zu deuten, ob das die Symptome einer Depression oder einer beginnenden Demenz waren.

Die Angst vor dem Kontrollverlust über das eigene Leben hält Betroffene oftmals davon ab, offener mit ihrer Erkrankung umzugehen. Wie können Angehörige sie hierbei besser unterstützen?

Indem man sie immer in Entscheidungen einbezieht und ihnen erklärt, was man vorhat. Man sollte ihnen mit einer absoluten Ehrlichkeit und Authentizität begegnen, weil sie es merken, wenn man das nicht tut. Mein Papa lebt mittlerweile in einem Pflegeheim. Wir holen ihn tagsüber ab und verbringen viel Zeit mit ihm, werden aber in den Abendstunden und in der Nacht, die er dann im Heim verbringt, entlastet. Solche Dinge könnte man z.B. im Voraus besprechen und damit auch als potenziell Betroffener vorausschauend für Selbstbestimmung sorgen. Weil wenn meine Angehörigen wissen, wie ich später betreut werden möchte, dann habe ich immer noch selbst die Kontrolle.

In deinem Buch ziehst du immer wieder Fußballmetaphern heran. Warum eignet sich die Metapher des Abseits so gut, um die Situation zu beschreiben, in der sich viele an Demenz erkrankte Menschen befinden?

Ich habe überlegt, was verbindet diese Krankheit mit dem famosen Sportlerdasein meines Papas. Und Abseits ist etwas, dass er mir gefühlt hundertmal erklärt hat. Abseits beschreibt, dass jemand in einer Position steht, die nicht sein sollte. Das ist bei Betroffenen von Demenzerkrankungen ganz oft der Fall. Sie stehen schnell in Positionen, in denen man niemanden haben möchte. Nicht auf am Spielfeld und nicht im Leben.

Johanna Constantini ist Klinische Psychologin, Arbeits- und Sportpsychologin in Innsbruck. Ihr Buch „Abseits … Aus der Sicht einer Tochter“ ist im Seifert Verlag 2020 erschienen.

Fotograf: Charly Lair

Portrait: Johanna Constantini